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Buch der Woche 1 -Wolfgang Herrndorf: Arbeit und Struktur

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Buch der Woche 1 -Wolfgang Herrndorf: Arbeit und Struktur

Das fängt nicht gut. Das erste Buch in meiner BdW-Reihe und ich habe nicht geschafft, es (ganz) zu lesen. Die Gründe sind ehrenhaft, doch dazu später.

Von Herrndorf steht schon seit Jahren sein dünnes Taschenbuch „In Plüschgewittern“ im Regal. Ich las es einmal und sortiere es aufgrund des Sujets (sensibler Mann verliert und findet sich in Kunst, Drogen, Frauen..) neben Matthias Altenburg und Joachim Lottmann ein. Gut und schnell lesbar, einige Anstreichstellen, aber nichts mit Sog.

Anders dann „Tschick“, welches mir schon länger bekannt war, aber Zeit brauchte, sich im Lesestapel nach oben zuarbeiten. Dieses Buch verschlang ich – ein Zustand, denn ich seit frühester Kindheit kenne, denn aber heute immer weniger Bücher in mir auslösen. Ich erinnere mich an die Rahmenhandlung, die mir verrückt, unmöglich, aber gerade deshalb möglich erschien. War da nicht eine Wartburgverfolgungsjagd im Braunkohlegebiet? Die intensiven Gefühle, Dialoge und Taten von Hauptperson, russischem Freund und Müllmädchen, die man nur in einer bestimmten Altersspanne genauso fühlt, sind mir bis heute im Gedächtnis.

Seinen nächsten Roman „Sand“ las ich nicht: damals bewusst, aber vielleicht hole ich es nach. Und dann die Diagnose und der Blog. Erschüttert und voller Respekt  verfolgte ich die Meldungen über sein Tun. Wie ich im Umgang mit Krankheit und dem Tod sozialisiert worden bin, übte ich mich auch hier in Ignorieren und Verdrängung. Ich traute mich nicht einmal, intensiv auf seinem Blog zu lesen – ich hielt das Gefühl nicht aus, einem Todgeweihten beim bewussten Sterben zuzusehen..

Die Todesnachricht, dann das Buch. Zweieinhalb Jahre schlich ich drumherum, bevor ich den Mut hatte, es auszuleihen. Zu Hause lag es noch einige Wochen unaufgeschlagen und konfrontierte mich mit meiner Urangst vor Krankheit, Leiden, Schmerz und Sterben. Ich machte zweimal den Versuch zu lesen – schaffte aber nicht mehr als ein paar Seiten. Der harmlose Einstieg im Pinguinkostüm, zwischendurch sensible Naturskizzen, das Ab und Auf der Krankheitsgeschichte und dann die bis zum Schluss so klar reflektierenden Selbstbeschreibungen.

Ich las die Anmerkungen und schloss das Buch tieftraurig. Andererseits auch unendlich beeindruckt von der Klugheit, Menschenliebe und Schaffenskraft Herrndorfs und seinem schlussendlichen Mut.

Und immer wieder vergesse ich die Sache mit dem Tod. Man sollte meinen, man vergesse das nicht, aber ich vergesse es, und wenn es mir wieder einfällt, muss ich jedes Mal lachen (…). Denn es geht mir ja gut.

Wolfgang Herrndorf

Traurig grüßt Neja

 

 

Storms Katze fährt Bahn

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Storms Katze fährt Bahn

Ich fahre gern Bahn. Leider zu selten und wenn, dann zu kurz. Es trug sich aber zu, dass ich eine Klientin 800 km weit in eine Reha-Einrichtung begleiten musste und am nächsten Tag zurückfuhr. Da sie auch abgeholt wurde, bedeutete das für mich vier (!) köstliche, lange (zumindestens durch meine Kinder) nicht gestörte Bahnfahrten. Ich versorgte mich zu Hause natürlich mit Lesestoff; hach wie freute ich mich, dass es wenigsten eine dicke Schwarte in den Gelesen -Status schaffen würde.

Wie es aber bei Literatursüchtigen so ist, muss erst alles umliegend Greifbare weggelesen werden, bis man ans eigene Material geht. Ich las also alle überregionalen Tages-und Wochenzeitungen, vom Handelsblatt und dem Regionalorgan nahm ich dann doch Abstand. Blieb nur noch das DB Mobil Magazin. Bunt, schwer – warum nicht? Nach 10 min war ich durch, nun ja. Aber die Literaturempfehlungen sind gut. Entdeckte ich beim ersten Mal Theodor Storm als coolen Kriminalisten in Tilman Spreckelsens „Nordseegrab“ (Menno, der zweite Band kam zu Weihnachten raus, wie vereinbare ich das mit dem?), las ich jetzt gebannt den Buchauschnitt von Tobi Katze „Morgen ist leider auch noch ein Tag“. So wahr, so echt, so gut. Bei jedem Umsteigen schlich ich in den Bahhofsbuchhandlungen rum und suchte das Buch. Jetzt habe ich es und ich kann meinen ersten Eindruck – gut, echt, wahr – nur bestätigen. Man wünscht sich fast nicht, dass Tobi Katze noch weitere Bücher schreibt und sein Leben und Leiden so ehrlich und selbstironisch auseinandernimmt. Zu eigentherapeutischen Zecken würde ich sie aber schon gern lesen. Im Moment gibt es seinen Blog hier.

Neja

Wer keine Zeit für seine Gesundheit hat, wird Zeit für seine Krankheit haben müssen.

aus England

Buch der Woche- Einstieg

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Buch der Woche- Einstieg

Ich habe 1000 Bücher und nochmal weitere 1000 gelesen. Ich fraß mich durch Stadtteilbibliotheken und verschlang Literaturkanons. Im Alter von 12 Jahren übergab man mir den Schlüssel und die Verwaltung unserer Dorfbibliothek, da ich mich sowieso die meiste Zeit darin aufhielt. So hatte ich endlich Gelegenheit, ungestört diesen komischen Zola nach noch komischeren Stellen zu durchblättern, bevor Frau Müller nach einem neuen Bastelbuch kam und ich ihren Namen und das Ausleihdatum auf so ein Pappkärtchen schrieb, welches man einer Lasche im Buch entnahm und dann in einen Karteikasten einsortieren musste. Jaa, alles noch manuell damals.

Also damals hat mich Bücherstaub angefixt und bis heute nicht mehr losgelassen. Ich tat manchmal nichts anderes als Lesen. Früh stellte ich mir einen Wecker, um vor der Schule noch Inhalt zu saugen, tagsüber malte ich mir aus, wie es weiterging und war ganz bei den Figuren und am Nachmittag bis in die Nacht überprüfte ich dann meine Theorien am Buch. Ein Meisterstück, um meine Sucht zu überspielen, war die Tarnung durch vermeintliche Haustätigkeiten. Ich lies den Staubsauger 30 Minuten laufen, lag daneben und las. Während ich mich in Studentenzeiten durch zwei Bücher täglich (keine Fachliteratur) arbeitete, sind es heute nur noch die 10 min vor dem Einschlafen.

Das möchte ich ändern. Ich möchte den Stapel neben meinem Nachtschrank (siehe Foto) abbauen und ich möchte die euphorisch aus der Bibliothek mitgenommen Bücher nicht nach dreimaliger Verlängerung wieder ungelesen abgeben müssen. Ich werde ab jetzt jede Woche ein Buch aus meinen Regalen oder von meinen Stapeln ziehen und etwas dazu schreiben. Wenn ich Pech habe, habe ich das Buch noch nicht mal gelesen oder seinen Inhalt vergessen. Dann muss ich das eben nachholen.

Nehmt mich beim Wort.

Ich freue und fürchte mich.

Neja

Hast du ein Gärtchen und eine Bibliothek, so wird dir nichts fehlen.

Cicero