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Buch der Woche 15- Radek Knapp: Franio

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Buch der Woche 15- Radek Knapp: Franio

Von Knapp habe ich schon das Buch mit dem wunderschönen Titel: „Herrn Kukas Empfehlungen“, welches ich las, verkaufte und wieder kaufte, weil es mir fehlte. Dann steht noch ungelesen „Papiertiger“ im Regal und nun Franio. Ein optisch und haptisch schönes Bändchen. Der sehr schön gestaltete rot-weiße Umschlag und der irgendwie griffige Einband machen Buchlust. Ich habe es für 1,99 € von einem Grabbeltisch gerettet.

Ich liebe die Russen, ich liebe Osteuropa und in diesem Buch zeigt sich wieder mal warum. Fünf Geschichten, fünf liebenswerte Eigenbrödler, herrliche Dialoge und eine irre Handlung. Es gibt Tode, Verrückte, eisenbahnfahrende Vögel  – sogar der Teufel mischt mit. Auf das Herrlichste gelingen Knapp typische Dialoge zwischen Einwohnern des Hinterwaldstädtchens Anin, dass einen Mikrokosmos der Welt abbildet. Die Einwohner teilen sich in Sturköpfe und Lebensweise oder sind beides. So richtig ist der Inhalt nicht beschreibbar; es werden alltägliche Situationen erzählt und dann passiert wieder etwas komplett Surrealistisches. Irgendwie liest es melancolisch, rührend und glücklichmachend. Entdeckt Franio, Herrn Muschek und den Mädchenschwarm Lukas und dann den ganzen Knapp.

Erst im Licht der Laternen entdeckte ich, dass es bloß ein alter Storch war. Er bewegte die seltsam ausgefransten Flügel müde hin und her. Als er über mir war, drehte er für einen Moment das Köpfchen und blickte auf mich herab. Er sah aus, als würde er im Schlaf fliegen, als würde er sich nicht dafür interessieren, was unter ihm lag, sondern nur dafür, wohin er flog.

Ganz beseelt grüßt Neja

 

Bibliotheken

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Bibliotheken

Ich liebe das Lesen. Ich liebe Bücher und eigentlich auch Bibliotheken; ich wollte sogar schon mal Bibliothekarin werden. In Bibliotheken halte ich mich so ehrfürchtig auf wie in Kirchen und liebkose die alten schweren Schwarten. Früher wollte ich mich ernsthaft über Nacht einschließen lassen.

Seit einiger Zeit allerdings ertrage ich diese Horte des Wissen nicht mehr. Ich entwickle körperliche Abwehrsymptome wie Kopfschmerzen, Kreislaufprobleme, Schweissausbrüche, ja sogar Sehstörungen. Gerade heute war ich mit den Kinder in der Bibliothek und bin fast umgekippt. Lag vielleicht auch daran, dass drei Kinder in drei Etagen verschwanden und wir nur 20 Minuten hatten.

Ich habe nachgedacht und glaube, Bibliotheken überfordern und ängstigen mich wegen ihrer Masse an Bücher. Sollte mir als Germanistin eigentlich klar sein, dass Bibliotheken Unmengen von Literatur beherbergen, aber ich habe zu Büchern ein etwas zwanghaftes Verhältnis. Für mich sind Bücher Möglichkeiten – fast Verpflichtungen. Wenn ich in einer Bibliothek bin, eile ich fast manisch die Gänge entlang, den Kopf in Schrägstellung um die Buchrücken zu lesen und unterm dem Arm schon einen Haufen schwerer Werke. In bestimmten Bereichen interessiert mich jedes zweite Buch und die Auswahl fällt mir schwer. Kann ich dieses Buch da lassen? Wenn DORT nun die Weltweisheit verborgen ist? Da hat der Schreiber soviel Seele und Geist investiert und ich lasse es stehen?

Ein wenig – und jetzt wird es richtig verrückt – spielt auch mein fortgeschrittenes Alter eine Rolle. Ich habe den irren Wunsch, in meinem Leben so viele Bücher wie möglich zu lesen. Da ich nicht weiß, wie lange mir bleibt, lege ich jetzt gut vor. Ich fertige lange „Zu lesen- Listen“ an, an denen ich nach Bibliotheksbesuchen verzweifele, da sie sich nicht verringern, sondern verzehnfachen. Ich lese neben der Standardbellestristik auch viele Sachbücher und neuerdings zusätzlich viele Zeitschriften, von denen unsere Bibliothek eine gute Auswahl hat. Aber auch eine noch so spannende GEO hat 50 Seiten, die erstmal gelesen werden wollen. Ich nutze die dreimalige Verlängerungsmöglichkeit IMMER aus, habe IMMER die maximal zulässigen 50 Medien im Haus und muss dann nach einem Vierteljahr trotzdem die Hälfte der Bücher ungelesen zurückgeben (Ich verspreche ihnen dann leise:“Irgendwann hole ich euch wieder.“).

Auch außerhalb der heiligen Hallen zeige ich ein leicht zwanghaftes Verhalten zu allem Gedruckten. Wir haben eine  Tageszeitung im Wochenendabo. Diese drei Tage haben ohne Immobilien und Stellenmarkt bestimmt 50 Seiten – und ich lese alles. Leider selten tagesaktuell – so weiß ich JETZT aber, was vor fünf Wochen in Birma los war. Der Stapel darf unter Androhung häuslicher Gewalt nicht ungelesen entsorgt werden. Ich fühle mich verpflichtet, ihn durchzulesen.

Ich sollte auf jeden Fall noch einmal mein Bibliotheksverständnis überdenken und einen kleinen Entzug wagen. Sehr vernünftig, zu Hause warten ja auch soviel ungelesene Bücher. Und das ungelesene Monatsmagazin seit 2013 – da hast du erstmal zu tun. (Stimme rechts). Bist du wahnsinnig! In der Bibliothek haben sie die neuesten interessantesten Sachen und so tolle Thementische, geh unbedingt wieder hin (Stimme links). Ihr seid, ich habe ein kleines Problem.

Ganz buchstabenverliebt grüßt Neja

Von allen Welten, die der Mensch erschaffen hat, ist die der Bücher die Gewaltigste.

Heine

 

 

Buch der Woche 14 – A.J. Cronin: Die Schicksalsnacht

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Buch der Woche 14 – A.J. Cronin: Die Schicksalsnacht

Hmm, was ist mir denn da ein die Hände gefallen? Ein kleines, dünnes graues Büchlein, welches sich wahrscheinlich jahrelang neben den dicken Schinken versteckt hatte. Woher ich es habe, weiß ich nicht mehr; dass ich mir bei diversen Umsortieraktionen immer mal wieder in die Hände fiel und mich neugierig machte, weil ich mit Autor und Titel absolut nichts anfangen konnte, weiß ich schon noch. Gestern Abend habe ich dann in zwei Stunden dieses verlockend dünne und unscheinbare Büchlein „ausgelesen“. Heute die Recherche: Cronin war schottischer Arzt und schrieb nebenbei 25 Romane, die sich mit seinem Milieu und vor allem seiner Beobachtung von sozialen Ungerechtigkeit beschäftigten. „Die Schicksalsnacht“ entstand 1940 und wurde noch im selbem Jahr verfilmt (Respekt).

Wenn das Buch nicht in dieser seriösen Aufmachung dahergekommen wäre, könnte man es gut als Groschenroman lesen. Die Figuren sind sowas von kategorisiert und schwarz-weiß gezeichnet, das man als Leser fast beleidigt sein müsste. Es geht um die Krankenschwester Anne (durchgängig gut, klug, schön) und ihre Schwester Lucy (naiv und selbstsüchtig, am Schluss gut- nützt ihr aber nichts- sie stirbt), um den Oberarzt Prescott (durchgängig gut, klug, schön) und noch ein paar Nebengestalten mit Charakterstagnation. Natürlich bekommen sich die beiden guten und schönen Menschen, nachdem alle Personen eine Katharsis durchlaufen haben und eine schwierige Hirn-OP ( entgegen aller Voraussagen und Hindernisse erfolgreich) durchgeführt wurde.

Trotzdem hat das Büchlein seinen Reiz. Eine gute Geschichtsidee, spannend erzählt und dann doch nichts so einseitig, wie es vielleicht meine obige Beschreibung vermuten lässt. Der sozialkritische Aspekt besteht hier in der Beschreibung der wirklich schlechten Arbeits-und Lebensbedingungen der Krankenschwestern und ihrer ersten gewerkschaftlichen Organisation. Das Buch hat mich nicht gelangweilt, wie es bei vielen der heutigen Werke mit ihrer Selbstbespiegelung und ironischen Ironie der Fall ist. Trotzdem verlässt es mich in die Kiste (den Container muss man fast schon sagen) der weiterzugebenen Bücher.

 

… der große Reichtum erlaubte ihr, dauernd krank zu sein. Sie liebte ihren Mann immer noch, lag aber die meiste Zeit zu Bett und litt an nervösen Zusammenbrüchen, die sie mit den harten Kämpfen ihrer ersten, sehr arbeitsreichen Ehejahre begründete.

 

Schon das nächste Buch bereitlegend grüßt

Neja

Buch der Woche 9-13: Frustmix

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Buch der Woche 9-13: Frustmix

Irgendwie ist im Moment der (Bücher-)Wurm drin. Ich habe keine Zeit und Lust zu bloggen und die Bücher, die ich lese, hauen mich auch nicht vom Hocker. Ich fange an und lege weg oder quäle mich durch.

Carlos Ruiz Zafron: „Der Gefangene des Himmels“. Der dritte Teil der Barcelona-Triologie, die ich Spätzünder erst jetzt entdeckt habe. Haben mich die ersten Bände gefesselt, scheint dieser mit dem schnellen Stift und wegen des zu erwartenden Anschlußerfolges geschrieben worden zu sein. Eine vergleichsweise geringe Seitenanzahl, die große Schriftgröße und ein nicht so komplexer Inhalt untermauern meine Vermutung. Erzählt wird die Geschichte einer – mir eigentlich sehr symphatischen- Nebenfigur und ihrem Vorleben, welches hauptsächlich zwischen Band 1 und 2 spielt. Unnötig brutale Schilderungen und etwas zu wenig von dem zafrontypischen Schaudern enttäuschten mich. Trotzdem bin ich mit Zafron nicht fertig. Irgendwann habe ich die Zeit, detektivmäßig die komplexen Verknüpfungen und Handlungsstränge der Romane zu entwirren und mich mit seinen anderen Werken zu beschäftigen.

Ursula Ott: „Schöner scheitern“. Kleine Geschichten über die Ärgernisse und Glücksmomente des Alltags – Wiedrigkeiten in Familie, Job und dem Leben allgemein. Gut geschrieben, aber schon oft so gelesen. Die Autorin ist Journalistin und hat – glaube ich – auch nicht den Anspruch schriftstellisch tiefe, nachhaltige Werke zu schaffen. Habe öfter gegrinst und dann schnell wieder vergessen. Für die Gammelstunde zwischendurch.

Sibylle Weischenberg: „Meine dreißig Lippenstifte und ich“. Mist! Großer Mist. Aus dem Verschenkregal der Bibliothek, weil zu wenig ausgeliehen. Zu Recht.

Alexander zu Schönburg: „Smalltalk“. Der Herr kann schreiben und hat ein überdurchschnitliches  Allgemeinwisssen. Wie auch schon in „Die Kunst des stilvollen Verarmens“ gefällt mir seine gelassene Haltung und seine fast philosophische Deutung bestimmter Lebensereignisse. Seine Bücher sind weniger Ratgeber als gut beobachtete Gesellschaftsanalysen und (s)eine Haltung dazu. Allerdings ist Schönburgs Bekanntenkreis nicht mein Bekanntenkreis und meine Sozialkontakte können mit  abgefahrenen Theorien zur Kunstgeschichte und Geldanlageanekdoten vom Börsenguru Kostolany wenig anfangen. Wenn man das Namedropping erträgt, taugt es gut zur Auffrischung oder dem Neuerwerb eines breiten konsensfähigen Allgemeinwissens. Habe das Buch trotzdem erst zur Hälfte durch.

Manfred Lütz: „Bluff“. Von Lütz habe ich „Irre!“ gelesen und fand es informativ und gleichzeitig unterhaltsam. Darum nahm ich mir gleich zwei weitere Einwortwerke („Bluff“ und „Gott“) mit. Leider verstehe ich das Konzept dahinter hin. Ich scheue keine Gedankenarbeit, aber muss man hunderte Seiten naturwissenschaftliche und philosophische Gedanken wiedergeben, wenn man doch sagen könnte: „Stellt euch vor, es wäre wie in der Truman-Show.“ (Hat er ja auch im ersten Drittel des Buches.) Aber was soll das drumherum? Für den Kerngedanken, dass die Welt doch ein großer Bluff sei, fehlen wiederum Herleitungen und Belegen. Oder denkt er es gar nicht und will nur das Denken des Leser aktivieren? Wäre dem psychatrischen Arzt und Theologen durchaus zuzutrauen. Mit diesem Buch komme ich nicht weiter. Ich gebe es zurück und werde hoffentlich irgendwann seine anderen provozierend-wiedersprüchliche Bücher verstehen.

Außerdem Zeitungen, Zeitschriften, Magazine – ich konsumiere, lese aber nicht so, wie ich es mir wünsche.

Das Unheil, welches die schlechten Bücher anrichten, kann nur durch die guten wieder ausgeglichen werden.

Germaine de Stael

In diesem Sinne

Neja

 

Buch der Woche 7/8 – Carlos Ruiz Zafons Schauerromane

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Buch der Woche 7/8 – Carlos Ruiz Zafons Schauerromane

Ein genialer Schachzug: ich bespreche zwei zusammenhängende Bücher und bin wieder im zeitlichen Rahmen. Also, es soll um die dicken Wälzer „Das Spiel des Engels“ und „Der Schatten des Windes“ gehen. Die Buchtitel sind für mich abschreckend und ich hätte die Bücher genau deshalb nicht gelesen, wenn sie nicht monatelang auf den Bestsellerlisten (na gut, das ist schon ein bisschen her) gestanden hätten. Nicht, dass mich das in meiner Wahl beeinflussst, aber als dann noch eine Kollegin mit diesem Teil ankam … musste ich es ihr klauen und selber lesen.

Ich wurde gut unterhalten. 1482 Seiten in 4 Wochen a 10 min ist ganz gut und spricht für den Spannungsgehalt. Günstigerweise las ich das zweite Buch vor dem ersten Buch, also das zweitgeschriebene, das chronologisch vor dem erstgeschriebenen liegt… ach, ihr wisst schon. Den Inhalt kann man gar nicht wiedergeben. Er ist zu verworren, verzwickt und ich habe einiges bis heute nicht aufgelöst. Es geht immer um Bücher und die Liebe zu diesen, sowie um Menschen und die Liebe zwischen diesen. Bücherliebhaber, Bücherfeinde, Autoren, Journalisten, Buchhändler und Bibliotheken.  Außerdem spielen alte Häuser mit einer gruseligen Geschichte eine große Rolle.

Ausgangspunkt ist das Barcelona des letzten Jahrhunderts, daneben gibt es zeitliche und örtliche Parallel- und Davorhandlungen. Gelungene Stimmungsbilder, Lokalkolorit, originelle Figuren (sogar der Teufel selbst tritt auf)* und teffende Dialoge begleiten die verschlungenden Geschichten. Alles hängt zusammen, ist schwierig und grundsätzlich unheimlich. Andererseits auch wieder sehr gegenwartsbezogen und zum Teil sogar lustig.

Ich mag einerseits Schauergeschichten a la E.T.A. Hoffman, Poe  und andererseits diese südamerikanische Fabulierlust mit Mystikanteil wie bei Allende und Garcia Marquez (schön lispeln bei den s-Lauten). Zafon verbindet dies alles sehr unterhaltsam und gekonnt. Gut, das nichts wirklich  unrealistisches passiert (traumatisch ist mir da  John Conolly „Das Buch der verlorenen Dinge“ in Erinnerung geblieben, ein brutaler Märchen/Fantasy/Horrormix) und sich viele Gruseleffekte durch Zafrons gutes Schreiben nur in meinem Kopf aufbauten. Die Bücher sind zum Einschlafen nicht förderlich und manche Nacht bin ich träumend durch Barcelonas Staßenlabyrinthe gelaufen, verfolgt von Fumento,  Inspector Grandes und dem Patron selbst.

Zufrieden die Wälzer einsortierend nehme ich mir vor, noch andere Werke des Autors zu … bekommen.

Gut unterhalten grüßt

Neja

*Ein noch besseres Buch mit diesem Thema ist James Robertson“Der Teufel und der Kirchenmann“.

Neid ist die Religion der Mittelmäßigen. Er stärkt sie, entspricht der sie zernagenden Unruhe (…) und gestattet ihnen, die eigene Niedertracht und Gier zu rechtfertigen, bis sie glauben, dies seien Tugenden (…), die durchs Leben ziehen, ohne eine weitere Spur zu hinterlassen, als ihre hinterhältigen Bemühungen, all jene zu verachten, auszuschließen oder sogar, wenn möglich, zu vernichten, die durch ihre schiere Existenz ihre seelische und geistige Armut sowie ihre Unentschlossenheit bloßlegen.

aus „Das Spiel des Engels“

Schauerroman

 

Buch der Woche 6 – M.G. Burgheim: Future Pop

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Buch der Woche 6 – M.G. Burgheim: Future Pop

Schon wieder ein deutsches Buch aus der Jahrtausendwende, komischer Zufall. Das nächste Buch führt uns nach Spanien, aber erst mal „Future Pop“. Ich habe es irgendwann mal in Berlin angelesen und war so angetan, dass ich es für mich bestellte.

Ein westdeutscher Mann, der in Brandenburg unterrichtet, schreibt über eine Berliner Frau, die in Brandenburg unterrichtet. (Nachtigall…)

Der Inhalt ist heftig und nachwirkend. Die Lehrerin Arietta beobachtet den Aufstieg der glatten, austauschbaren Popband DIE PIONIERE zu einer Jugendbewegung und letztendlich zu einer bürgerumfassenden Strömung, die politisch Einfluß nimmt. Gerade jetzt- im Zeichen der ähnlich gearteten poltriglauten AfD-bin ich sehr hellhörig, wenn es erst um den Ausschluss und dann um die Verfolgung von Minderheiten geht.

Arietta ist einige der wenigen, die sich wehrt und daraufhin  in vielen Lebensbereichen persönlich angegriffen wird und zu Schaden kommt. Sehr eindrucksvoll wird der Aufbau einer Diktatur an Grußformel, Kleidungsordnung, Hierarchien, Belohnung-und Bestrafungssystemen und dem letztendlich immer größer werdenden Einfluss auf alle Bereiche des Staates beschrieben. Es gibt hartes Internetbashing, Belohnungsdrogen, vergiftete Hunde, Straßenkämpe, Tote und weitere unschöne brutale Geschehnisse. Arietta zweifelt an sich selbst, da die große Masse an die Idee der PIONIERE glaubt und sich unreflektiert anschließt, wagt mit einigen wenigen Mitstreitern dann doch ein Aufbegehren.

Ich war bei den echten Pionieren (blau und rot) und bin seit dem Kindergarten indoktriniert worden (natürlich findet man als Kind alles toll und übt auch Granatenwerfen) – umso schmerzvoller ist die realistische Beschreibung von instrumentalisierter Erziehung gepaart mit Angst und keiner Möglichkeit des Vergleichs oder der Überprüfung. Kompliment an den Autor für diese sehr wirklichkeitsgetreue Darstellung der Massenmanipulation, die im schlimmsten Fall so funktioniert hat.

Obwohl viele schwierige Bereiche wie Hitlerdiktatur, DDR, Medieneinfluss, Korruption und am Wichtigsten, die Macht von vordergründig einfacher Musik a la Rammstein/Scooter/  Pet Shop Boys vermischt werden, gelingt es dem Buch zu fesseln und zu aktivieren. Sprachlich manchmal etwas zu aufgesetzt und oft doch zu arg offensichtlich auf den gewünschten Effekt abgezielend; in anderen Bereichen dafür sehr genau zuhörend.

Ein Buch, welches nachwirkt. Ich habe es Anfang Januar gelesen und immer wieder erinnere ich mich an Szenen, vor allem aber an das beängstigende Gefühl, ob man selbst oder die große Masse „normal“ denkt und handelt. Kann gern Pflichtlektüre der 10. Klassen werden.

Bestimmt hatte alles seine Richtigkeit und war eigentlich nur ein genialer Schachzug, um widerstreitende Interessen zu integrieren, ein Signal für eine bessere Zukunft. (…) Warum sollte sich der Staat nicht an der Finanzierung einer Popband beteiligen., zumal die Sache lukrativ war und allemal wirksamer als die üblichen Plakatwand-Appelle …

aus „Future Pop“

Nachdenklich grüßt Neja

Buch der Woche 5 – Elke Naters: Königinnen

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Buch der Woche 5 – Elke Naters: Königinnen

Habe aus Gründen wenig geschrieben, aber trotzdem gelesen. Nun bin ich sehr in Verzug,  schon KW 8 und erst drei Bücher vorgestellt! Jetzt aber los, Frau Kopp.

Wir beginnen mit Elke Naters „Königinnen“. Ein kleines, dünnes Buch, welches schon lange im Regal steht und – gefühlt –  um die Jahrtausendwende (yes, geschrieben 1998) zu mir kam. Da gab es doch ganz viel von diesen kleinen Befindlichkeitsgeschichten.

Das Buch hat viele Hauptsätze. Die sind meist banal. Sie ermüden schnell.  Weil nichts passiert. Es hat auch unglaublich coole Sätze wie diese hier: „Wenn man so eine Musik hört, egal wo, muss man sofort umdrehen und  hinausgehen, weil bei dieser Musik bekommen die dümmsten Menschen gute Laune, das ist so unerträglich, dass kann man  sich gar nicht vorstellen. Weil sonst bekommt man als nicht dummer Mensch die schlechteste Laune, die man sich vorstellen kann.“

Es geht um um zwei Frauen, Männer, Berlin und Shopping. Es geht um Einsamkeit, Kommunikation, Freundschaft, Neid und Armut.

Das dünne Büchlein schafft es, ungesagt bzw. ungeschrieben ganze Paletten erwachsenen Zweifelns aufzuschichten und wieder abzutragen. Oft strengt die Hauptsatzsprache an. Sie wirkt zu nüchtern und zu spröde. Aber wenn man sich auf diesen stakkatohaften Fluß einlässt, erscheint das Unsichere und Suchende dahinter. Wie geht erwachsen sein? Wie geht Freundschaft?

Ich gebe es trotzdem weiter. Nicht, dass ich beide Fragen beantworten könnte (siehe hier), aber es passt nicht mehr in meine Zeit. Literaturempfehlung in der Literaturempfehlung: Bernhards „Wittgensteins Neffe“ werde ich lesen.

Mein Leben ist voll von ermüdener Hausfrauenscheiße.

aus „Königinnen“

 

Ermüdet Neja.

 

Buch der Woche 4 -Natalia Sanmartín Fenollera: Das Erwachen der Señorita Prim

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Buch der Woche 4 -Natalia Sanmartín Fenollera: Das Erwachen der Señorita Prim

Dieses Buch habe ich nicht verstanden. Eine Freundin schenkte es mit den Worten: „Ist mal was anderes.“ Oja, endlich mal ein Buch ohne Handlung, ohne Message, ohne Spannung.

Eine junge Frau kommt als Hauslehrerin zu Kindern, die über den Bildungskanon 70jähriger Doppelprofessoren verfügen. Vorhersehbar bringen die Kids unerträglich altklug den emotional verletzten Hausvater und die sensible Neulehrerin zusammen. Natürlich darf die unkonventionelle und überdrehte Schwiegermutter nicht fehlen, welche nach einer Herzensprüfung den Segen erteilt. Mehr passiert nicht. Das ganze in einem Ort, in dem jeder Einwohner nur seiner Bestimmung und Berufung nachgeht. Dabei hat er viel Zeit, um ausufernde salbadernde Gespräche mit der Neubürgerin führen zu können. Diese erfährt durch die sinnlosen Dialoge nicht überraschend natürlich auch noch eine Persönlichkeitswandlung. Hört sich an wie eine Bahnhofsbuchhandlungsschundroman, kommt aber im seriösen Gewand von Pieper daher.

Der eh schon dröge Coelho unter Valium mit einer Prise Utopia, aber alles unendlich laaangweilig.

Was mache ich damit? Zu der Kiste mit den 100 anderen Büchern, die ich mich nicht mal zu verschenken wage?

Müde grüßt Neja

Kein würdiges Zitat.

Buch der Woche 3 -Stefan Maelck: Ost Highway

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Buch der Woche 3 -Stefan Maelck: Ost Highway

Schlüpfer. Es geht um Schlüpfer.

Ich weiß gar nicht, wie dieses Buch zu mir gekommen ist, wahrscheinlich Grabbelkiste oder Biblioteksgratisabgabe. So könnte ich mir erklären, warum das Druckwerk nach Kotze riecht.

Das tut dem Lesevergnügen keinen Abbruch. Ein kurzweiliger Krimi über eine Ostradiomoderatorin, welche mit einem Schlüpfer erwürgt wurde. Die Dama wurde als IM Maja geoutet, was auf frühe Schandtaten und späte Rache deutet. Ihr Kollege Meyer, im Zweitjob Privatdedektiv, bringt mit Hilfe seines hessischen Buddys, einem Lousiannatrip und viel Alkohol Licht nach „Dunkeldeutschland. Aber keine Sorge, weder Ostdissing noch tiefe politische Abhandlungen sind in dem Band zu finden, dafür Unmengen von musikalischen Zitaten und Anspielungen. Maelck übertrifft Hornbys „High Fidelity“ um Längen, wobei die Musikrichtung eine ganz andere ist. Manchmal wird es zuviel, wenn jeder Dialog zwischen Meyer und seinem Kumpel Heuser aus geheimen Expertensongzeilen besteht. Das ganze im Sprachstil von supercoolen, wortkargen hardboiled dedective Vorbildern (bewusst oder nicht gut kopiert, erschloss sich mir nicht). Ansonsten ist nichts hard oder gewalttätig in diesem Buch, der Protagonist heult beim Plattenauflegen und gemordet wird mit Schlüpfern.

Die Namen der Figuren sind für mich als ehemalige Onomastin (ja, googelt ruhig) ein Fest. Hank Meyer (und wie er selber richtig sagt, der Name ist noch besser als Dschingis Lehmann), Gerda Lattke, Gisela Manfraß, Fallbeil und Bösendorfer. Auf die Dauer nerven die obercoolen,  zynischen Dialogen, die Meyer mit allen Gesprächspartner führt, aber die Kurve zum Happy-End, bei dem alle froh sind, den Täter nicht gestellt zu haben, ist gelungen. Das Buch liest sich flüssig weg, oft musste ich grinsen bis gickern – der richtige Kandidat für meine 10 min Bettlektüre.

Es gibt einen zweiten Fall von Hank Meyer („Tödliche Zugabe“) – wenn ich den ohne Geruchsspuren kriege, lese ich ihn auch.

 

Am Nebentisch saß eine Runde Kunstpatienten, bei denen Wiglaf Droste Essayismus im Endstadium diagnostiziert hätte.

aus „Ost Highway“

Erheitert grüßt

Neja

 

 

 

Buch der Woche 2-Leonid Jusefowitsch: Das Medaillon

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Buch der Woche 2-Leonid Jusefowitsch: Das Medaillon

Zäh, ganz zäh. Fast hätte ich das zweite Buch meines Projekts nicht zu Ende gelesen, diesmal aus Gründen der Langweiligkeit und der Fadheit.

Ich habe es ja eigentlich mit den Russen. Während in der 9. Klasse im schuleigenen Bestellclub alle anderen das legendäre Aufklärungsbuch „Denkst du schon an Liebe?“ bestellten , orderte ich Puschkins Jugendbiografie „Alexander in Zarskoje“. Dann später die Gedichte und meine Liebe zu wehmütiger Dramatik und unglaublich langen Namen war erwacht.

Heute stehen noch Dostojewski (auch irgendwie zäh), Gorki und Tschechow im Regal, von den neueren Vertretern Jewtuschenko und Ulitzkaja. Ein ungelesenes Schmankerl, auf das ich mich freue, ist Viktor Pelewin mit „Die Dialektik der Übergangsperiode von Nirgendwoher nach Nirgendwohin„. Ein Buch mit diesem Titel muss einfach gut sein. Ich habe alle Bände von Boris Akunins „Fandorin-Reihe“ verschlungen und schätze die Geschichts-und Literaturanspielungen. Ein bisschen Spannung, ein bisschen Mystik, Wortwitz und natürlich der Charme und die Exentrik des Protagonisten Erast Fandorin.  Ihr merkt, ich stehe auf so Cumberbatch-Holmes-Typen. Natürlich ist das keine Hochliteratur, aber für die 10 Bettminuten genau das richtige Niveau. Ich dachte, die Putilin-Reihe wäre eine moderne Fortsetzung. Aber ich quälte mich, ich quälte mich. Auch dieses Buch strotzt vor Geschichts-und Literaturverweisen, die sind mir aber zu hoch. Oder wusstest ihr, dass es in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts einen militärischen Konflikt zwischen dem türkischen Sultan Mahmud II. (1784-1839) und seinem Vasallen Mehmed Ali(1769-1849) gab, der Ägypten aus dem Osmanischen Reich lösen sollte? Fünfzeiligezeilige Fußnoten, da kam der Geschichtsprofessor in Jusefowitsch durch. Rahmenhandlung: Der Polizeipräsident Iwan Putilin erzählt einem Schreiber seine Biografie und damit auch den Fall des mysterösen Medaillons, welches den Empfänger vor seinem baldigen Tod warnt. Eine verschwundene Großmutter, zwei Giftmorde, einen erdrosselten Hund, der dann doch noch lebt, stellt sich heraus, dass es sich um eine banale Fremdgeh-und Erbengeschichte handelt. Irgendwas mit Freimaurern war auch noch. Ganz nett, aber auch etwas verwirrend ist, dass sich Biograf und Putilin ständig auf der Metaebene über leserfreundlichere Änderungen in der Geschichte unterhalten.

Es soll noch zwei Bände geben. Mir egal.

 

… war die gut dreißig Jahre alte Baronin eine jener hauptstädtischen Halbweltdamen, auf deren Gesicht mit Geheimtinte, die im Gespräch mit einfachen Sterblichen sichtbar wurde, das Jahreseinkommen ihres Gatten geschrieben stand.

aus „Das Medaillon“

Do swidanja

Neja