Archiv für den Monat Dezember 2017

Das große Feuer- Vom Loslassen

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Das große Feuer- Vom Loslassen

Ich habe seit einigen Monaten so ein Gefühl mein Leben ordnen und meine Vergangenheit sortieren zu müssen. Dabei bin ich noch lange nicht 50. Liegt es daran, dass seit einem Jahr alles so ziemlich in geordneten Bahnen verläuft und wahrscheinlich auch so bleiben wird? Weil Ruhe einkehrt und ich keine Existenzangst mehr habe? Nach der Pawlowschen Bedürfnispyramide bin ich in kurzer Zeit ein paar Stufen nach oben geklettert. Wieso denke ich schon dran, Zeug für meine „Enkel“ zu sichern – meine Kinder sind 14! Ist das diese Midlifecrisis?

Da ich manische Sammlerin von Erinnerungen bin, finden sich im Keller dutzende Kisten mit Kram. Der Kram besteht hauptsächlich aus Karten, Papieren, Kalender, Briefen, Eintrittskarten und kleinem Schnickschnack wie Anstecker etc.  Natürlich gibt es auch noch etwas Kleidung oder Spielzeug von mir. Da ich jetzt beginne, Lieblingskleidung und Spielzeug meiner Kinder auszulagern, wird der Platz knapp. Fakt ist, etwas muss was weg – und am besten viel. Es schmerzt mich aber immer, diese Kisten zu öffnen und durchzuschauen. Dabei hatte ich eine wirklich schöne Kindheit/Jugend und auch danach sind mir nicht die ganz schlimmen Sachen passiert. Natürlich hat mich das Leben ab und zu gebeutelt, aber davon befindet sich wenig in den Kisten.

Die Vergangenheit zu bewerten und dann in die Kiste oder in die Tonne wegzuordnen,   ist ein emotionaler Kraftakt für mich. Ich tue mich schwer. Leicht entschieden ist bei Post, deren Absender mir nichts mehr sagt. Einladungen von alten Arbeitgebern, Fotos von Kindern der Großfamilie, die ich nicht kenne – weg.

Aber Independentzeitschriften, die schon eingestellt sind? Kalender, die mein Studentenleben präzise nachzeichnen? Meine liebsten Kinderbücher, die meinen Kindern nichts mehr sagen? Sagen sie mir noch was, außer dass ich mich während des Lesens wohlgefühlt habe, weil ich am Ofen saß und meine Oma grade buk? Warum zieht es im Herzen, wenn es doch so schön war? Erinnern ist schön und schwer. Jedes betrachtete Stück wird emotional gewogen und wandert dann doch oft zurück, um bis zum nächsten Durchlauf zu schlummern.

Da ich aber um die befreiende Wirkung des Loslassens weiß und diese auch suche, wird es im Frühling ein Feuer für das Aussortierte geben. Der Kram hat nur immateriellen Wert und nützt anderen nichts (solche Sachen gebe ich schnell und großzügig weiter). Ich werde eine Tasse zerschmettern, ins Feuer starren und mich an der Gegenwart freuen.

Etwas rührselig grüßt Neja

 

Die Erinnerung ist ein oft geflickter Maschendrahtzaun.“                          Brigitte Fuchs

Silbernetz

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Silbernetz

Meine Kinder gestalten ein Geburtstagsgeschenk für ihren Opa. Sie haben das Glück, mit zwei Großeltern aufzuwachsen und auch noch ihre Urgroßeltern einige Jahre erlebt zu haben. Die ersten Lebensjahre wohnten wir zu weit weg. Das Besuchen fiel beiden Seiten schwer. Mir, weil Reisen mit drei Kleinkindern einfach nicht schön ist und meinen Eltern, weil die weite Fahrt und der Aufenthalt in einer fremden Wohnung mit anderen Abläufen sie anstrengte. Vor 8 Jahren zogen wir in die Nähe meiner Familie und sehen uns seitdem mindestens einmal die Woche. Die Kinder lieben ihre Großeltern vorbehaltlos. Sie telefonieren und chatten mit ihnen und erzählen ihnen manchmal mehr als uns. Schenkten sie anfangs noch Bilder und Basteleien, wird es jetzt richtig praktisch mit Gutscheinen fürs Umgraben und Putzen. Regelmäßig übernachtet ein Kind dort und dies ist für beide Seiten die Chance, sich  intensiv miteinander zu beschäftigten, was sonst in der Dreierkonstellation unterginge. Opa und Opa lernen etwas über Minecraft und meine Söhne verwenden plötzlich Wörter wie „Spitzbube“ oder „Stelldichein“. Die Kinder bekommen den Alterungsprozess der beiden mit und machen sich Gedanken und Sorgen, wie es ihnen in den nächsten Jahren gehen wird. Ich bin sehr dankbar für diese enge Bindung und meine Großfamilie.

Viele ältere Menschen haben viel seltener oder gar keinen Kontakt zu ihren Kindern oder Enkeln. Sie leben vereinsamt und isoliert in ihren Wohnungen und haben maximal Kontakt zu Pflege- und Versorgungsdiensten. Wenn dann auch noch die Mobilität eingeschränkt ist, fällt auch die Möglichkeit zum Rentnertratsch im Seniorentreff weg. Wo das Dorf oder die Kleinstadt vielleicht ältere Menschen in dieser Situation noch eher auffängt und in dörfliche Abläufe einbindet, sind allein lebende Senioren in der Großstadt anonym und nicht sichtbar. Je länger Menschen allein leben, desto schwerer fällt es ihnen, an Angeboten teilzunehmen oder einen Hilfebedarf zu formulieren. In Berlin gibt es den Verein „Silbernetz“ , der sich dieser Problematik annimmt. Ganz niedrigschwellig bietet der Verein durch Ehrenamtliche einen Telefonkontakt für ein persönliches und trotzdem anonymes Gespräch.

„Das Hilfetelefon gegen Einsamkeit im Alter in einem ersten Testlauf geschaltet. Tag und Nacht, rund um die Uhr. Unter der kostenfreien Rufnummer 0800 4 70 80 90 können ältere vereinsamte und isoliert lebende Menschen aus Berlin (Vorwahl 030) zum ersten Mal in dieser dunkelsten Zeit des Jahres bei Silbernetz anrufen, reden und erzählen, ihren Tag und ihre Sorgen teilen. „

Weiterhin gibt es es einen Freundschaftsdienst, bei dem einmal wöchentlich ältere Menschen für eine Stunde angerufen werden. Natürlich nur auf Wunsch. So entfällt die Schwierigkeit, selbst anrufen zu müssen.

Der Verein freut sich über Spenden für Headsets und die Anrufkoordination.

www. silbernetz.org

Schöne Feiertage wünscht euch Neja

Strassenkreide Glückwunsch Großvater

 

Ich bin wieder bunt

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Ich bin wieder bunt

Vor zwei Jahren erschien hier der erste Text. War ich am Anfang noch produktiv und euphorisch, nahm mich das Leben mit seinen großen und kleinen Tälern so in Anspruch, dass ich mich hier nicht mehr äußern konnte. Das und das und dann doch wieder das  brachten mich an den Rand meiner Kräfte. Wünsche anderer und eigene Ansprüche  konnten nicht erfüllt werden. Tränen, Schweigen und Verlorengehen . Dann traf ich eine Entscheidung. Ich hatte plötzlich Zeit mein Leben zu  betrachten und zu sortieren. Ich verabschiedete manches und lernte mich  zu schützen. Ich weiß, was mir gut tut (Ruhe, Alleinsein, Ruhe, Ruhe) und setzte es durch.

Nun bin ich wieder bunt. Seit einem Jahr in festen Arbeitstrukturen, ohne Existenzangst und mit gutem familiären Rückhalt, erfahre ich Wertschätzung für mein Wesen und meine Arbeit.  Ich empfinde ich große Dankbarkeit über diesen Lebensverlauf. Wichtig dabei war, dass ich die Prozesse aktiv gestaltetet habe – so habe ich z.B. gekündigt (ohne Aussicht auf einen neuen Job). Einen großen Schub Richtung Besserung hat gebracht, dass ich nicht Entscheidungen abgewartet und dann passiv erduldet habe, sondern ich mich entschieden habe. Und zwar mit allen Konsequenzen und ohne Plan B gegen die damalige Situation.

Ich bin weicher, aber gleichzeitig auch stärker geworden. Ein Beispiel: Hat mir früher eine Tasse mit einem zierlichen floralem Muster gefallen, habe ich mir nicht erlaubt, sie zu kaufen, weil unser Geschirr doch sehr schlicht ist und ich nicht wusste, was der Mann über diesen „Weiblichkeitsausbruch“ so denkt. SO WHAT! Es ist nur eine Tasse und wenn sie mir eine schöne Stunde beschert, her damit. Seitdem habe ich mindestens drei derartige Exemplare erworben und unser Tassenregal ist durcheinandergewürfelt und bunt. SO WIE ICH.

Hier wird es jetzt wieder regelmäßige Post und Buchrezensionen geben, ich freue mich drauf.

Herzliche Grüße

Neja

„Nur ein stilles Wasser wird wieder klar.“